Bindungsangst & Abhängigkeit in Beziehungen

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Es gibt ein Verhaltensmuster, welches in einigen Büchern zunächst einmal als Bindungsangst bezeichnet wird. Häufig verbirgt sich hinter diesem Begriff jedoch eine Abhängigkeit in Beziehungen oder auch  Co- Abhängigkeit in Beziehungen.

Bitte lassen Sie sich nicht von dieser Bezeichnung abschrecken! Das allgemeine Verständnis von Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit ist meistens mit der stofflichen Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit verbunden; also dass es sich dabei um Partner von Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhängigen handelt. Dieses Verständnis hat jedoch – zunächst einmal – wenig mit der nichtstofflichen Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit im Sinne von Beziehungsvermeidung oder Beziehungsphobie zu tun.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle näher aufzeigen, welche Leitsymptome Abhängige in Beziehungen und Co-Abhängigkeit in Beziehungen im Bereich der Beziehungsvermeidung – und angst aufweist.

Ich möchte jedoch betonen, dass Beziehungsvermeidung nicht immer auch mit Co-Abhängigkeit zu tun hat. Beziehungsvermeidungs – ebenso wie Bindungsangst – hat viele Formen und Ausprägungen. Dennoch kann ich aus meiner langjährigen Arbeit mit Betroffenen und deren Partnern sagen, dass (Co-) Abhängigkeit eine der am häufigsten vorkommenden Ausprägung der Bindungsvermeidung ist.

Leitsymptome der Abhängigkeit und/oder Co-Abhängigkeit in Beziehungen

  • Sie haben ein großes Verlangen danach, gebraucht zu werden
  • Sie möchten helfen, retten und Probleme lösen
  • Betroffene sind nicht in der Lage, gesunde Beziehungen zu führen
  • Der Lebensmittelpunkt: die Bedürfnisse des Partners, was häufig zu Klammern, zu Eifersucht, Verzweiflung, Unfähigkeit alleine zu sein oder zu Gedanken von „Lebenssinnlosigkeit ohne Partner“ führt
  • Sie neigen zur Kontrolle in allen Bereichen ihres Lebens, was die Gefühle und das Handeln ihres Partners einschließt
  • Betroffene befinden sich mehr „im Außen“, als bei der Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse. Das bedeutet, dass es co-abhängigen Menschen sehr wichtig ist, wie sie auf andere Menschen wirken. Einen guten Eindruck z.B. auf die Nachbarn („Schrei´ nicht so laut! Was sollen denn die Nachbarn denken?!“), Kollegen und Familie zu hinterlassen, hat immer Priorität vor den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen. Leider häufig auch vor denen der eigenen Kinder.  Ihre Abhängigkeit „vom Außen“, deren  gute Worte und die Wertschätzung, welche sie unbedingt als Lebensberechtigung benötigen (also von anderen Menschen), ist es, was sie zu erstklassigen Manipulationskünstlern macht
  • Einige Betroffene werten andere Menschen gerne ab. Nichts und niemand ist ihnen gut genug. So versuchen sie ihr eigenes instabiles Selbstwertgefühl zu stabilisieren und ihre eigene Person – von der sie nur allzu oft keine gute Meinung haben – aufzuwerten. Das Ab- und Bewerten anderer Menschen wurde in 98 %  von den Eltern übernommen
  • Liebe und Zuneigung werden unter Bedingungen gestellt: Wenn ich schon so viel Zeit investiere und mich hier so einbringe, dann möchte ich dafür wertgeschätzt werden!
  • Innere Befriedigung und Glück können nur im Außen erreicht werden, um die Anerkennung zu erlangen, die den Betroffenen ihre Existenzberechtigung gibt
  • Betroffene neigen zu Extremen: Ganz oder gar nicht. Schwarz oder weiß.
  • Sie entwickeln sich zu

a)     Sehr verantwortungsvollen Personen

b)    Oder unzuverlässigen Personen (Fluchttendenz)

  • Sie opfern sich in Beziehungen auf; bis hin zur völligen Selbstaufgabe
  • Sie können keine eigene Identität entwickeln, da sie gelernt haben, das

a)     Anpassung

b)    Bedürfnisbefriedigung anderer

c)     Aufopferung

       zu vermeintlicher Wertschätzung oder Liebe führt

  • Co-Abhängige können schlecht Hilfe annehmen
  • Sie können schwer oder gar nicht Komplimente oder Geschenke annehmen (Das ist das Paradoxe an dieser Krankheit, die sich ja für Wertschätzung, Liebe und Zuneigung  oft bis zur Selbstaufgabe einbringt)
  • Betroffene definieren sich über Leistung oder verweigern die Leistung
  • Sie können schlecht Grenzen setzen
  • Sorgen mehr für andere, als für sich selbst
  • Neigen zu Burnout durch übermäßiges Leisten und durch unzureichende Grenzsetzung
  • Neigen zu Depressionen, wenn sie in Beziehungen „gescheitert“ sind (= Ich habe das nicht geschafft / nicht leisten können, also habe ich versagt.)
  • Das Selbstwertgefühl ist in einigen Bereichen instabil (So wie ich bin, genüge ich nicht.)
  • Daraus resultiert ein – zumindest nach außen – souveränes Auftreten bei völliger innerer Unsicherheit
  • Sie neigen dazu, Fehler bei anderen zu suchen (und zu finden), um sich selber aufzuwerten, der Beziehung entfliehen zu können oder sich gar nicht erst einlassen zu müssen
  • Sie haben Angst Fehler zu machen
  • Betroffene haben oft hohe Erwartungen an sich selbst und übertragen diese hohen Erwartungen auf andere Menschen
  • Sie haben in der Kindheit gelernt mit Stress zu leben und setzen heute von neuem in Gang, was ihnen von damals gut bekannt ist
  • Oft befinden sie sich in einem Zustand von Anspannung oder Überforderung
  • Zwanghafte Persönlichkeiten
  • Abhängige Personen, die Angst davor haben verlassen zu werden
  • Sie verbringen viel Zeit mit Planen, Systematisieren, Manipulieren und Vermeiden: Kontrolle ist ein zentrales Thema in ihrem Leben
  • Die Betroffenen haben den Zugang zu den eigenen Gefühlen bereits in der Kindheit verloren und sind als Erwachsene nicht mehr in der Lage, die eigenen Gefühle wahrzunehmen oder auszudrücken
  • In Beziehungen sehr anpassungsfähig und leidensfähig
  • Oder sie tendieren zu On-Off-Beziehunge
  • Betroffene sind „Maskenträger“: Sie wirken oft unproblematisch und freundlich. Lächeln auch in den Situationen, in denen andere Menschen ihre Wut oder Traurigkeit zeigen können

Die von (Co-) Abhängigen bevorzugt gewählten Berufe sind: Lehrer, Schauspieler, Therapeuten, Coaches, Ärzte, Krankenschwester, Medizinische Fachangstellte (Pflegeberufe im Allgemeinen).

Das ein Mensch abhängig von der Wertschätzung, Meinung und Gunst anderer wird und auch Co-Abhängigkeit sind in den meisten Fällen so entstanden, dass Verhaltensmuster von einem oder beiden Elternteil(en) übernommen wurden. Es handelt sich um erlernte Verhaltensmuster! Ob Vater oder Mutter co-abhängig sind, ist dabei nebensächlich. Wichtig für Sie ist, dass Ihnen bewusst wird, dass Sie als Betroffener auch Ihren Kindern dieses Verhalten weitergeben. Es sei denn, sie arbeiten erfolgreich dagegen an und lernen innerhalb einer Therapie, durch Literatur, Seminare etc. mehr darüber, wie gesunde Beziehungen geführt werden können. Bei den Kindern von diesen Eltern ist parallel zu erkennen, dass die meisten von ihnen einen instabilen Selbstwert aufweisen. Ihr Gefühl für sich und zu anderen, ist oft verzerrt und gestört.

Bei Co-Abhängigen Betroffenen handelt es sich um heute erwachsene Kinder, die in eine Familie hinein geboren wurden, welche dysfunktional war. Dysfunktional ist eine Familie dann, wenn die Eltern und Bezugspersonen den Lebensrahmen des gesunden und Selbstwert stärkenden Miteinander nicht dauerhaft stabilisieren und weitergeben können. Dieses  kann durch Erkrankungen im psychischen Bereich (Beispiel: Ein Elternteil leidet unter einer schweren Krankheit, Depressionen, Schizophrenie o.ä.) oder im Suchtbereich sein (Beispiel: Co-Abhängigkeit der Mutter, Alkohol-, Nikotin- oder Arbeitssucht des Vaters).

Link – BA, Beziehungsvermeidung und Co-Abhängigkeit (pdf Datei als Download)

Bindungsangst und Co-Abhängigkeit. Copyright by Silke Neuschulz